Ein "Fake account", Ein Denkmal
Eine Untersuchung der Frage, ob Kunstwerke gleichzeitig Denkmäler sein können
Im Rahmen des European Media Art Festivals (EMAF) 2014 in Osnabrück stellt Alexander Repp seine
Arbeit „Fake account“ aus. Sie thematisiert die rasante, globale
Verbreitung von ungeprüften Informationen. Im Speziellen wird die
Verbreitung einer einzigen Twitter-Nachricht, die unmittelbar nach
dem Bombenanschlag auf den Boston Marathon 2013 auftauchte
visualisiert.
„I WILL KILL ALL OF
YOU, YOU KILLED MY BROTHER“
Auf
einem kleinen, unscheinbaren Bildschirm läuft eine Art „Film“
ab. Wie in einem Online-Chatroom erscheint nacheinander und in
schneller Abfolge immer dieselbe Nachricht „I will kill all of you,
you killed my brother“ in weißen Lettern auf schwarzem
Hintergrund. Dennoch unterscheiden sich die einzelnen Zeilen. Immer
erscheint ein anderer Nutzer des sozialen Netzwerks Twitter als
Verbreiter der Nachricht. Wie gebannt und ohne wirklich zu verstehen
was in diesem Moment vor meinen Augen abläuft stehe ich vor dem
kleinen Monitor und kann den Blick nicht abwenden. Irgendwie
erscheint einem diese Nachricht unheimlich bedeutungsschwer. Ein
Blick nach rechts und mir fällt wieder ein warum ich überhaupt auf
diese Wand in der Kusthalle Osnabrück zugesteuert habe. Dort hängt
eine etwas größere Wandarbeit von der ich vorerst vermute, dass sie
in keinerlei Zusammenhang mit dem faszinierenden kleinen Monitor dort
steht. Tut sie aber doch! Das muss nun auch ich feststellen. Hier ist
eindrucksvoll visualisiert worden, was auf dem Bildschirm zu lesen
ist. Es ist ein sehr feingliedriges, stark verästeltes Geflecht von
Verbindungen dargestellt, die sich in verschiedenen Neonfarben
voneinander abgrenzen und gleichzeitig wieder verbinden. Die Aussage
dieser zweigeteilten Arbeit erschließt sich mir noch nicht
vollkommen, doch mein Interesse ist geweckt und ein markanter
ästhetischer Eindruck bleibt. Klar ist, warum auch immer, dass es
sich in irgendeiner Art und Weise um eine Internetthematik dreht.
Vielleicht um Überwachung? Das würde zumindest in den Rahmen der
gesamten Ausstellung „WE, THE ENEMY“ passen. Ich wende mich nun
dem etwas knappen Infotext zu und muss feststellen, dass ich mit
meiner Vermutung nur teilweise richtig liege. Internet ja,
Überwachung eher nein. Hier ein Zitat des Infotextes:
„[Alexander]
Repp visualisiert die Verästelungen von Twitter-Nachrichten, die in
einem kurzem Zeitfenster nach den Anschlägen auf den Boston Marathon
das Wort „killed“ beinhalteten. Viele Twitter-Nutzer hielten eine
vermeintliche Nachricht von einem der Attentäter für authentisch
(„I will kill all of you, you killed my brother“), posteten sie
erneut und erstellten ein Täterprofil, das vor einem völlig
„gefaktem“ Hintergrund entstand. Die „großen“ Medien
verbreiteten dieses dennoch landesweit.“
(http://www.emaf.de/deutsch/festival/programm/ausstellung.html)
Klar
ist nun worum es vordergründig geht und ich bin beeindruckt. Im nächsten
Schritt versuche ich zu entschlüsseln, wie die zahlreichen
Punkte und die, die Punkte verbindenden, Linien in ihren spezifischen
Farben zustande kommen. In der kürze der Zeit – ich bin leider
etwas in Eile – gelingt es mir nicht. Es gibt noch viel an Kunst zu
sehen und deshalb ziehe ich weiter.
„Fake
account“ lässt mir allerdings auch im Nachhinein keine Ruhe. Ein
paar Tage später durchforste ich das Internet nach näheren
Informationen. Fündig werde ich zu erst auf der offiziellen Seite des European Media Art Festivals. Dies war auch meine erste
Anlaufstelle. Allerdings bringt mich dies nur indirekt weiter. Hier
finde ich lediglich den Titel, ein Bild der Installation, den kurzen,
oben zitierten Infotext und den Namen des Künstlers. Letzterer hilft
mir allerdings bei meiner Suche. So stoße ich nach etwas Recherche
auf einen Eintrag beim Online Portal Scribd.com in welchem Alexander
Repp selbst Stellung zu seinem Werk bezieht.
Demnach
handelt es sich bei dem was auf dem Monitor abläuft um einen kurzen
live Mitschnitt der Postings auf Twitter, die das Wort „killed“
beinhalteten. Die grafische Visualisierung dieses Mitschnitts setzt
sich nun laut Repp aus je einem Punkt für die entsprechende
Nachricht, den/die NutzerIn und den begefügten Hashtags (#) und den
gleichfarbigen Linien, die, die miteinander in Verbindung stehenden
Punkte verbinden, zusammen. Die Arbeit gefällt mir immer besser. Zum
einen klagt sie die unglaublich schnelle Verbreitung nicht
bestätigter Informationen über das Internet an, zum anderen die
Tatsache, dass eben Solche von den großen, traditionellen Medien
übernommen und weiterverbreitet werden und damit eine subjektiv
höhere Glaubwürdigkeit gewinnen, obwohl sie schlichtweg falsch sein
können. Weiterhin wird kritisiert, dass die Verbreitung von
Informationen offenbar von Teilen der Gesellschaft als Möglichkeit
zur Gewinnung von Aufmerksamkeit gesehen wird, wodurch das Verbreiten
falscher Informationen durch Fake-Accounts erst attraktiv und damit
möglich wird. Hinzu kommt der Appell sämtliche Netzwerke (nicht nur
in Internet) stärker und genauer zu analysieren, um ein besseres
Verständnis davon zu bekommen wie und auf welcher Grundlage sich
heute unser „Wissen“ bildet und wie subjektiv dieses Wissen ist.
Kunst wie ich sie mag. Verstanden, abgespeichert, fertig.
Von
wegen! Zwei oder drei Wochen später erhalte ich in Rahmen des
Seminars „Erinnern und Vergessen – didaktische und künstlerische
Strategien in der Erinnerungskultur im Kontext des ersten und zweiten
Weltkrieges in Osnabrück und Umgebung“ bei Ruppe Koselleck, die
Aufgabe eines der Kunstwerke aus der Austellung „WE, THE ENEMY“
im Hinblick auf ihre theoretische Eignung als Denkmal zu
reflektieren.
Augenblicklich habe ich den kleinen Monitor mit seinen
immer gleichen und doch unterschiedlichen Nachrichten vor Augen. Kann
„Fake account“ von Alexander Repp als Denkmal angesehen werden?
Vielleicht in Gedenken an die Opfer des Bombenanschlages in Boston?
Das ist der erste Gedanke, der mir diesbezüglich durch den Kopf
schießt. Allerdings stellt sich schnell heraus, dass das Werk als
Denkmal für dieses Ereignis nicht wirklich funktioniert. Es geht
nicht um die Opfer. Es geht nicht um die mutmaßlichen Täter.
Genaugenommen geht es hintergründig nichteinmal wirklich um den Anschlag auf den
Boston Marathon. Das war mir bei meiner vorherigen Recherche
schließlich ziemlich schnell klar geworden.
Viel eher könnte es als
Denkmal denjenigen gegenüber funktionieren, die jemals durch
un(genügend)geprüfte Fehlinformationen einen Schaden erlitten
haben. Zum Beispiel fälschlich juristisch und gesellschaftlich
Verurteilten gegenüber.
Auf der
anderen Seite wäre eine Transformation zu einem Mahnmal, anstelle
der Denkmalsfunktion denkbar. Ein Mahnmal all denjenigen gegenüber,
die durch die ungeprüfte Weitergabe von Informationen dazu in der
Lage sind den entsprechenden Fehlinformationen Gehör zu verschaffen
und damit den Personen, auf die sich diese beziehen, zu schaden. Ein
Mahnmal an uns alle! Eine stetige Ermahnung an einen jeden Bürger
dieser Erde sich mit dem, was man zu verbreiten gedenkt vorher
eingehend auseinanderzusetzen und nur dann eine Information
weiterzugeben, wenn man sich absolut sicher sein kann, dass diese
auch richtig ist und niemandem bzw. niemand Unschuldigem schaden
kann. Damit sind auch und vor allem die großen Medien angesprochen,
die sich mit dem Orden der Glaubwürdigkeit schmücken. Sie tragen
maßgeblich zur Wissens-, Meinungs- und Urteilsbildung einer breiten
Masse von Menschen bei und sind deshalb angehalten sämtliche
Informationen die zu ihnen gelangen vor der Weiterverbreitung
eingehend auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Vorfälle wie die
nach dem Anschlag auf den Boston Marathon dürfen nicht geschehen. Aber auch juristische Instanzen, wie z. B. Gerichte werden ermahnt keine voreiligen Schlüsse aus ungeprüften Informationen zu ziehen.
Weiterhin mahnt uns „Fake account“ unser eigenes
Geltungsbedürfnis und dessen Befriedigung, durch unüberlegte
Verbreitung von Fehlinformationen über das Internet, zugunsten der
Wahrheit zurückzustellen.
Sollte
ich Alexander Repps Installation mit einer Art Inschrift für ein
Denk-/Mahnmal versehen würde sie folgendermaßen lauten:
„In
Gedenken all derer, die Opfer falscher Informationen wurden, sind und je sein werden. Eine
Mahnung denen, die daran Schuld trugen, tragen und je tragen werden.“
Somit
kann „Fake account“ von Alexander Repp meiner bescheidenen Meinung nach durchaus sowohl als Denk-
als auch als Mahnmal angesehen werden.