Mittwoch, 24. September 2014

Die Identifikationsplastik (Heinz Mack 1979): Ein Denkmal?

Mitten in Osnabrück, direkt zwischen der Osnabrückhalle und dem Schloss steht auf dem Vorplatz der Osnabrückhalle eine gewaltige, stählerne Plastik. Die Identifikationsplastik von Heinz Mack.

Heinz Mack dürfte einigen - hoffentlich den meisten - Lesern bekannt sein. Er war Mitbegründer der bekannten Künstlerbewegung ZERO (1958-1966), wiederholter Documenta-Aussteller und Teilnehmer an der Venedig Biennale 1970. Weiterhin sind seine Arbeiten in vielen Sammlungen vertreten (wie z. B. momentan in der Kunsthalle Bremen zu sehen). Außerdem hat sich Heinz Mack mit seinen monumentalen Plastiken im Öffentlichen Raum vieler größerer Städte und an ungewöhnlichen Orten wie der arabischen Wüste verewigt. Eine dieser Monumentalplastiken ist die bereits erwähnte Identifikationsplastik in Osnabrück.

Die Frage, mit der ich mich in diesem Beitrag beschäftigen möchte ist die, ob die Identifikationsplastik von Heinz Mack als Denkmal für jemanden oder etwas funktionieren kann, oder nicht. Allerdings möchte ich es vermeiden dogmatische Aussagen zu treffen, sondern nur Argumente gegeneinander abwägen.
Identifikationsplastik
Heinz Mack 1979


Zuerst wenden wir uns dem Titel der Arbeit zu. Identifikationsplastik. Diese riesige Stahlplastik mit ihren Ecken, Kanten, polierten und gebürsteten, ineinander greifenden und aufeinander stoßenden Flächen, ihrer leicht konischen, an eine Säule erinnernden und dennoch absolut abstrakt bleibenden Form soll etwas mit Identifikation zutun haben. Wie soll das funktionieren, wenn man als Betrachter die Plastik nicht einmal selbst als etwas identifizieren kann? Wo möglich geht es genau um diese eine Frage: Was soll das eigentlich sein? Genau das ist die Frage nach der Identität. Stellt man sich diese Frage und denkt weiter darüber nach, was diese Plastik eigentlich sein soll, so beginnt man automatisch sie in irgendeiner Form zu definieren. Ist die Definition nicht die Wurzel einer jeden Identifikation? Wenn jemand oder etwas nicht definiert ist, kann man es dann identifizieren? Nein. Mit dem ersten Gedanken, dem "was soll das sein?" beginnt ein Prozess, der über eine Definition zu einer Identifizierbarkeit des Gegenstandes führt. Das was die Plastik mit uns als Betrachter macht, lässt sich nun auch auf viele andere Bereiche des Lebens übertragen. Eine generelle Beschäftigung mit Identität als solches kann in Gang gebracht werden. Der Betrachter kann sich damit auseinandersetzen, wer er/sie eigentlich selbst ist. Was ist meine eigene Identität? Worüber definiere ich mich, worüber werde ich definiert? Worüber definiere und identifiziere ich meine Freunde, Kollegen, meine Familie und sämtliche andere Mitmenschen? Denkt man weiter, so lässt sich dies auf eine weit größere Menge an Lebewesen und Dingen beziehen. Man kommt soweit, dass man sich mit der Welt auseinandersetzen muss, wenn man sie für sich selbst mit Identitäten füllen möchte. So kann man auch darüber nachdenken, was die Identität meiner Stadt, meines Landkreises, meines Bundeslandes, meines Landes, des Kontinents usw. ausmacht. Diese Beschäftigung mit der Identität der eigenen Umwelt wird noch dadurch katalysiert, dass man sich selbst und dass sich die Umgebung in den glatten Flächen der Plastik spiegeln und sich je nach Lichteinfall mehr oder weniger stark verzerren. Man wird also mit einem mehr oder weniger deutlichen Abbild der Welt konfrontiert, dass es ersteinmal zu entzerren gilt.

Angenommen diese Theorie zur Funktion der Identifikationsplastik stimmt, wie kann man dieses Kunstwerk nun in ein Denkmal, bezogen auf eine Erinnerungs- oder eine Vergessenskultur, übersetzen?

Dies ist kein besonders leichtes Unterfangen. Wäre die Plastik in den 50er oder 60er Jahren des 20. Jahrhunderts gebaut und aufgestellt worden, so wäre es vorstellbar, dass die deutsche Bevölkerung wirklich gewisse Probleme beim finden einer eigenen Identität abseits des zweiten Weltkriegs und des Nazi-Regiems hatte. Die Identifikationsplastik hätte als Symbol und Aufruf zur Beschäftigung mit sich und der eigenen Identität funktionieren können. Immer im Hinblick darauf, die NS-Vergangenheit zu überwinden und zu vergessen, um überhaupt zu einer neuen, reinen Identität für die Bevölkerung der beiden deutschen Staaten gelangen zu können. Ein Denkmal einer Vergessenskultur also.
Wäre die Plastik heutzutage aufgestellt worden, wäre eine andere Erklärung sinnvoll. Die Identifikationsplastik als Denkmal für die Identität als solche, die uns heute durch Massenmedien, Social Media usw. zunehmend verloren zu gehen scheint.
Nun wurde die Identifikationsplastik allerdings 1979, das heißt 34 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs und 35 Jahre vor heute erstellt. Welches Thema war damals so aktuell, dass man die Plastik heute als Denkmal bezeichnen könnte? Dies ist für einen jungen Menschen wie mich nicht leicht nachzuvollziehen. Dennoch ist bekannt, dass am Ende der 70er Jahre der Kalte Krieg zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt wie ein Damoklesschwert über Europa und vor allem über dem noch geteilten Deutschland hing. Die übergeordnete Identitätsfrage dieser Zeit könnte in der eigenen Gesinnung den beiden Konfliktparteien gegenüber gelegen haben. Das bedeutet aber nicht nur darin, ob man sich eher den sowjetischen Idealen oder denen der westlichen Welt zugewand fühlt sondern auch, ob man als Deutscher eigentlich Deutscher ist oder doch vielleicht eher Bundesbürger oder Bürger der DDR? Eine Entscheidung zwischen zwei Systemen, zwischen zwei Mächten, zwischen zwei Ländern, die doch eigentlich eins sind. Deutsche, die in den Augen der anderen Deutschen keine Deutschen oder doch Deutsche sind. Kapitalismus und Kommunismus. Gut und Böse. Schwarz und Weiß in verschiedenen Grauabstufungen. Eine Erschütterung der Identität der Deutschen, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges andauerte und 1979 noch lange nicht an Kraft verloren hatte.

Womöglich setzt Heinz Macks Identifikationsplastik genau hier an. Sie ruft die Deutschen - und hier auf Grund der Örtlichkeit (Osnabrück) hauptsächlich die Westdeutschen - dazu auf sich mit ihrer eigenen Identität und der Identität ihrer ostdeutschen Nachbarn auseinanderzusetzen und setzt gleichzeitig dieser deutschen Zerrissenheit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Denkmal. Die Identifikationsplastik könnte somit als ein Denkmal für einen gesellschaftlichen Zustand gelten. Allerdings wurde sie nie als solches ausgeschrieben und war vermutlich nie so konzipiert. Sie kann vieles sein, sie muss gar nichts sein. Es geht um Identität. Die Frage nach Identität ist zeitlos. Deshalb wird Heinz Macks Identifikationsplastik immer auf irgendeine Art und Weise für jemanden funktionieren.

Just my two cents ...

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